Wer ein Kind erwartet, möchte ihm alles nur denkbar Gute mit auf den Weg geben. Dieser fängt natürlich nicht erst mit der Geburt an. Der Fötus im Mutterleib bedarf zu seiner Entwicklung weitreichenden Schutz vor schädigenden Einflüssen wie etwa Rauchen und Alkoholgenuss. Eine zentrale Rolle spielt die Ernährung – die Schwangere muss ja nicht nur sich selbst versorgen, sondern auch noch den Fötus und hat somit einen höheren Bedarf an Makro- und Mikronährstoffen.
Bestimmten Vitaminen und Spurenelementen kommt in dieser Zeit eine Schlüsselrolle zu, vor allem Folsäure. Bei Defiziten steigt das Risiko für Fehlbildungen – insbesondere des Neuralrohrs. Dieses schließt sich bei gesunder Entwicklung in der dritten und vierten Schwangerschaftswoche, also zu einem Zeitpunkt, an dem die meisten Frauen noch nicht einmal ahnen, dass sie schwanger sind. Aus dem Neuralrohr werden die zentralen Elemente des Nervensystems gebildet; allerdings wird unter Folatmangel dieser Entwicklungsschritt oft nicht vollendet. Folgen sind mehr oder weniger auffällige Fehlbildungen, Bewegungsstörungen bis hin zu Lähmungen. Auf jeden Fall sind damit Behinderungen verbunden, schlimmstenfalls eine verminderte Lebenserwartung. In Deutschland werden jedes Jahr schätzungsweise mehr als fünfhundert Kinder mit Neuralrohrdefekten geboren.
Das vor allem in frischem Blättergemüse als Folat vorkommende B-Vitamin ist hitze-, licht- und lagerungsempfindlich, also vor allem an frische und frisch zubereitete Kost gebunden. Damit wird schon klar, dass die Zufuhr von Folat sehr viel mit der Lebens- und Ernährungsweise zu tun hat: Fastfood, Fertiggerichte und lang gelagerte oder lang erhitzte Speisen enthalten naturgemäß sehr wenig von diesem Vitamin. Ideal dagegen wäre ein unmittelbar vor der Zubereitung frisch im Garten geernteter Blattsalat, was aber wohl eher selten praktikabel ist. Die Zahlen sprechen für sich: Dem Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zufolge nimmt ein Großteil aller Bundesbürger nicht die empfohlene Menge an Folat zu sich. Für Schwangere gilt ein etwa doppelt so hoher Richtwert wie für Durchschnittserwachsene. Sind schon die „Normalbürger“ nicht gut mit Folsäure versorgt, so stellt sich die Situation für Frauen zwischen 25 und 34 Jahren als ausgesprochen bedenklich dar: Mehr als drei Viertel nehmen laut DGE sehr viel weniger als die empfohlene Tagesdosis (300 Mikrogramm Folat) zu sich.
Für kein anderes Vitamin steigt der Bedarf während der Schwangerschaft so sehr wie für Folat: nämlich von etwa 300 Mikrogramm auf 550 Mikrogramm. Grundsätzlich ist es möglich, allein über die Ernährung diesen erhöhten Bedarf zu decken. Aber inwieweit es auch praktisch umsetzbar und mit dem individuellen Tagesablauf einer berufstätigen Frau zu vereinbaren ist, bleibt fraglich. Schwangere haben zwar auch einen höheren Bedarf an Kohlehydraten und Eiweißen, allerdings wird der zusätzliche Energiebedarf einer normalgewichtigen Schwangeren auf „nur“ rund 200 bis 300 Kilokalorien geschätzt; das entspricht einem Käsebrot und einem Apfel – also keinesfalls der immer wieder kolportierten doppelten Nahrungsaufnahme gegenüber einer Nichtschwangeren. Sich über eine angepasste Kost Folat in ausreichender Menge zuzuführen, ohne auch zu viele Kalorien aufzunehmen, ist daher sicherlich nicht ganz einfach. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt deshalb Frauen, die sich ein Kind wünschen, zusätzlich 400 Mikrogramm synthetische Folsäure in Form von Präparaten einzunehmen. Diese zusätzliche Einnahme eines Folsäurepräparats sollte spätestens 4 Wochen vor Beginn der Schwangerschaft anfangen und mindestens während des 1. Drittels der Schwangerschaft beibehalten werden. Interessant: In einigen Ländern wie den USA oder Kanada werden bestimmte Lebensmittel (z. B. Mehl, Salz, Cerealien) mit Folsäure angereichert – eine Maßnahme, mit der man ausgesprochen positive Erfahrungen gemacht hat und die Zahl der Neuralrohrdefekte deutlich senken konnte.
Wir hoffen, mit dieser Ausgabe unseres Newsletters Ihr Interesse an diesem Thema geweckt zu haben und wünschen Ihnen eine spannende Lektüre.
Dr. med. Thomas Schettler
interner wissenschaftlicher Ausschuss GIVE e.V.