Jede Schwangerschaft ist ein besonders kritischer Lebensabschnitt: Der Nachwuchs soll unter möglichst günstigen Bedingungen gedeihen, der Mutter soll es dabei aber auch gut gehen. Das sind gewichtige Gründe für eine optimale Versorgung mit Vitalstoffen. Obwohl dies relativ einfach umzusetzen ist, sieht die Realität leider anders aus – trotz aller Empfehlungen von Ärzten und Behörden.
In erster Linie geht es dabei um Folat und Folsäure. Dieses B-Vitamin spielt eine ganz besondere Rolle beim Wachstum des Ungeborenen, dies gilt vor allem für das Neuralrohr, aus dem sich das Gehirn und das Rückenmark entwickeln.
Ein Mangel an Folat kann zu einem Neuralrohrdefekt führen, wodurch die Betroffenen in der Regel Zeit ihres Lebens mehr oder weniger behindert sind. Es sollte deshalb ein Anliegen der gesamten Gesellschaft (und das aller Eltern sowieso) sein, die Folsäureversorgung für Frauen mit Kinderwunsch und Schwangere sicher zu stellen. Entsprechende Empfehlungen hält jeder Gynäkologe bereit. Auch Behörden geben Informationen, so dass eigentlich alles zum Besten bestellt sein sollte.
Leider sieht die Realität anders aus.
Nahrungsfolat, also die natürlich vorkommende Form, wird in allen Bevölkerungsgruppen nicht ausreichend aufgenommen. 80 Prozent aller Frauen zwischen 25 und 34 Jahre bleiben mit ihrer Folataufnahme unter den offiziell empfohlenen Werten. Knapp drei Viertel (74 Prozent) aller Schwangeren nehmen zur Ergänzung Folsäurepräparate, aber nur 11 Prozent aller Frauen mit Kinderwunsch supplementieren rechtzeitig.
Dabei sind die meisten Frauen in dieser Frage relativ gut informiert, wobei es Unterschiede von Land zu Land gibt. In den USA beispielsweise wissen knapp zwei Drittel aller Frauen im gebärfähigen Alter, dass Folsäure vorbeugend gegen Fehlbildungen wirkt. In der Schweiz dagegen sind es 90 Prozent, aber von den vom Balkan und aus der Türkei eingewanderten Frauen nur 33 Prozent. In allen Fällen ist die Zahl derjenigen, die auch Folsäurepräparate nehmen, niedriger als derjenigen, die sich informiert zeigen. Einige Länder (z. B. USA, Kanada) haben daraus die Konsequenz gezogen, bestimmte Nahrungsmittel mit Folsäure anzureichern. Dort sind Neuralrohrdefekte bei Neugeborenen in der Folge deutlich zurückgegangen.
In Deutschland kommen jedes Jahr etwa 800 Kinder mit einem Neuralrohrdefekt zur Welt. Mediziner schätzen, dass rund 70 Prozent dieser Schäden auf das Konto von Folsäuredefiziten gehen. Sie könnten größtenteils vermieden werden, wenn rechtzeitig Folsäurepräparate eingenommen würden. Auch das Gesundheitssystem könnte dadurch entlastet werden: Ein Kind mit einem Neuralrohrdefekt verursacht im Laufe seines Lebens Kosten in Höhe von rund einer Million Euro, vorbeugende Folsäuregaben dagegen nur einen winzigen Bruchteil dieser Summe. Natürlich sollte die Vitaminversorgung während und vor Beginn einer Schwangerschaft ganz grundsätzlich optimiert werden. Aber das setzt voraus, dass alle, die es angeht, sich ausreichend informieren und diese Informationen auch konsequent nutzen.
André Kindling
Vorstandsmitglied GIVE e.V.
GIVE e.V. (Gesellschaft zur Information über Vitalstoffe und Ernährung) fördert seit der Gründung im Jahr 2007 aktiv das Wissen über Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente und Mikronährstoffe. In der Gesellschaft zur Information über Vitalstoffe und Ernährung e.V. engagieren sich führende Gesundheitsunternehmen für das Ziel, durch einen Transfer von wissenschaftlichen Informationen und Erfahrungen einen Beitrag zur Verbesserung der Versorgungssituation mit Mikronährstoffen zu leisten.