Stuttgart, 18. August 2020 – Auf Grund steigender Zahlen von Covid-19-Erkrankungen hochaktuell und daher von enormer Bedeutung: Der körpereigene Schutz vor viralen Infektionen. Welche Rolle der Mikronährstoffstatus für ein gut funktionierendes Immunsystem spielt, haben Forscher um Philip Calder in einer Übersichtsarbeit zusammengefasst.
Zahlreiche Studien belegen die Bedeutung von Vitaminen und Mikronährstoffen für eine optimal funktionierende Abwehr gegen Viren und Bakterien. Vor allem die Vitamine A, B6, B12, C, D, E und Folsäure, die Spurenelemente Zink, Eisen, Selen, Magnesium und Kupfer sowie die Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure spielen für das Immunsystem eine wesentliche Rolle. Nun fasst ein kürzlich veröffentlichter Review von Calder et al. den Stellenwert einer optimalen Nährstoffversorgung für Schutz vor viralen Infektionen durch das Immunsystem zusammen [1].
Fragen an den Review-Co-Autoren Dr. Manfred Eggersdorfer
Wie wirkt sich eine unzureichende Versorgung von Vitaminen auf das Immunsystem aus? Bin ich anfälliger für Krankheiten? Ist der Krankheitsverlauf schwerwiegender oder die Krankheitsdauer länger?
Das Immunsystem ist die erste Abwehrlinie unseres Körpers gegen Krankheitserreger wie Viren oder Bakterien. Das Immunsystem ist komplex und erfordert für eine optimale Leistungsfähigkeit das Zusammenspiel einer Vielzahl von essentiellen Mikronährstoffen. Wir unterscheiden beim Immunsystem zwischen dem angeborenen Immunsystem und der adaptiven Immunabwehr. Nur bei guter Versorgung mit den essentiellen Mikronährstoffen verfügt der Körper über eine starke Immunabwehr. Die angeborene Immunabwehr reagiert schnell und unspezifisch auf Krankheitserreger, dabei werden weiße Blutkörperchen aktiviert, wie z. B. die Neutrophile, die die Krankheitserreger eliminieren. Neutrophile brauchen viel Vitamin C; die Vitamin-C-Konzentration ist 50- bis 100-mal höher als im Plasma. Mit Vitamin C gut versorgte Neutrophile sind effizienter in der Abwehr von Krankheitserregern. Deshalb empfehlen Experten bei Vitamin C eine tägliche Einnahme von 200 mg. Kranke haben einen höheren Vitamin-C-Bedarf, hier wird eine Dosis von 1 bis 2 g Vitamin C pro Tag empfohlen. Das adaptive Immunsystem reagiert langsamer, meist erst nach Tagen und hat ein „Erinnerungsvermögen“, sodass bei wiederholter Infektion eine schnelle und effektive Abwehr erfolgt. Die Europäische Food and Safety Authority (EFSA) unterstützt aus diesen Gründen für eine Reihe der Vitamine und Mineralstoffe eine gesundheitsbezogene Aussage (health claim) bezogen auf das Immunsystem. In der Summe: eine Reihe von Vitaminen und Mineralien spielt eine wichtige und komplementäre Rolle in der Unterstützung eines starken Immunsystems. Eine optimale Versorgung mit den Mikronährstoffen moduliert die Immunfunktion unterstützend und reduziert das Risiko, die Dauer und die Schwere von Infektionen.
„Deutschland ist kein Vitaminmangelland“ – heißt es immer wieder von führenden Fachgesellschaften. Empfehlen Sie dennoch generell die Supplementation von Mikronährstoffen?
Wenn wir von den essentiellen Mikronährstoffen, also den Vitaminen und Mineralien sprechen, sollten wir zwischen Mangel und suboptimaler Versorgung unterscheiden. Wir kennen in Deutschland keine Mangelkrankheiten mehr, wie z.B. Skorbut oder Rachitis, d.h. einen Mangel an den Mikronährstoffen gibt es in Deutschland nicht. Anders sieht es mit der Versorgung mit Mikronährstoffen nach den Empfehlungen der Ernährungsorganisationen aus, hier der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Das Bundesforschungsinstitut für Ernährung & Lebensmittel in Karlsruhe hat in der Nationalen Verzehrstudie (NVS 2) ermittelt, dass die Abweichungen von den Empfehlungen mit 90 % Unterversorgung der Bevölkerung besonders groß für Vitamin D und Folat, und mit 50 % Unterversorgung erheblich für Vitamin E und C sind. Bei den Vitaminen A, B1, B2, B6 und B12 erreichen jeweils bis zu 30 % der Bevölkerung die Zufuhrempfehlung nicht. Es ist nicht gut, dass die Unterversorgung im Vergleich zu den Empfehlungen nicht breiter kommuniziert wird. Diese suboptimale Versorgung mit essentiellen Nährstoffen hat langfristig Einfluss auf die Volksgesundheit, auf die Lebensqualität, auf gesundes Altern; und das Immunsystem ist für Infektionsrisiken nicht optimal aufgestellt. Ein Nahrungsergänzungsmittel kann helfen, die Nährstofflücke im Vergleich zu den Empfehlungen zu schließen. Vitamine und Mineralstoffe sind essentiell für den Körper, sie sind in eine Vielzahl von Körperfunktionen involviert, und nur, wenn sie in ausreichender und empfohlener Menge zur Verfügung stehen, können alle Funktionen ausreichend bedient werden.
Ältere Menschen zählen zur Risikogruppe für besonders schwere Krankheitsverläufe. Ebenso zählen ältere Personen zur Risikogruppe für eine Vitaminmangelversorgung. Sehen Sie hier einen Zusammenhang?
Wir wissen, dass im Alter das Immunsystem schwächer ausgebildet ist und deshalb ein größeres Risiko für Infektionen und andere Krankheiten besteht. Viele Ältere sind zudem nicht ausreichend mit Vitaminen und Mineralstoffen versorgt, dies zeigen viele Studien. Die Situation scheint sich dabei mit zunehmend eingeschränkter Selbstversorgung weiter zu verschlechtern. Häufig ist bei Älteren die Versorgung insbesondere mit Vitamin D, mit Vitamin E, mit den B-Vitaminen und auch Vitamin C nicht gut. Studien haben gezeigt, dass eine Versorgung mit 2 000 I.E. Vitamin D das Risiko für virale Infektionen der Lunge um bis zu 50 % reduzieren kann. Auch für Vitamin E gibt es Studien, die zeigen, dass höhere Dosen das Risiko für Grippe und Erkältung (upper respiratory tract infections) reduziert. Grippe und Lungenentzündung sind häufige Erkrankungen bei Älteren und können mit anderen Morbiditäten eine Belastung für den Einzelnen darstellen. Da bei Älteren in der Regel der Energiebedarf niedriger ist als in der Aktivphase, sollte auf eine ausreichende Vitamin- und Mineralstoffversorgung geachtet werden.
Am Ende der Winterzeit leiden aufgrund der geographischen Lage mehr Deutsche an einer unzureichenden Versorgung mit dem Sonnenvitamin Vitamin D. Welche Rolle spielt die Jahreszeit beim Ausbruch einer neuen Erkrankung wie Covid-19?
In der Tat zeigt eine Reihe von Studien, dass im Laufe des Winters der Vitamin-D-Spiegel im Blut von Personen abnimmt und erst im Laufe des Sommers wieder langsam ansteigt. Dies hängt mit der geringeren Eigenproduktion in der Haut zusammen, die eine Sonneneinstrahlung im UV-Bereich braucht, die im Winter in unserer Breite wenig gegeben ist. Gerade in der Winterzeit sind wir für Erkältung, Grippe und andere Erkrankungen anfällig. Aus diesen Gründen ist es ratsam, bereits ab Herbst auf die richtige Vitamin-D-Versorgung zu achten. Für ältere Personen beträgt die Vitamin-D-Empfehlung 800 I.E. pro Tag, diese Menge ist durch die Ernährung und Eigenproduktion gerade in der Winterzeit schwierig zu erreichen. Manche Länder führten eine Anreicherung in Grundnahrungsmitteln, wie z. B Milch, ein und empfehlen zusätzlich ein Nahrungsergänzungsmittel. Ein Vorbild dafür stellt Finnland dar, dort ist alle Milch und Butter mit Vitamin D angereichert; die Messung der Blutspiegel zeigt, dass die Bevölkerung damit im Durchschnitt optimal versorgt ist. In Finnland hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte durch Maßnahmen wie die Lebensmittelanreicherung mit Vitamin D die Volksgesundheit deutlich verbessert.
Nun ist die Krankheitswelle schon beinahe am Höhepunkt. Ist eine Supplementierung von Vitaminen auch noch sinnvoll, wenn man bereits Krankheitssymptome zeigt? Oder sollte man möglichst in weiser Voraussicht handeln?
Eine Unterstützung und Stärkung des Immunsystems ist immer empfehlenswert und hilfreich. Natürlich ist es besser, rechtzeitig vorzubeugen. Wir wissen beispielsweise, dass bei einer Erkrankung die Vitamin-C-Blutspiegel deutlich absinken, d.h. auch wenn bereits Krankheitssymptome auftreten, ist es sehr sinnvoll, ein Nahrungsergänzungsmittel und eine höhere Dosis Vitamin C zu nehmen!
[1] Calder PC, Carr AC, Gombart AF, Eggersdorfer M. Optimal Nutritional Status for a Well-Functioning Immune System Is an Important Factor to Protect against Viral Infections. Nutrients. 2020;12(4):1181. Published 2020 Apr 23. doi:10.3390/nu12041181