Satt, übergewichtig und trotzdem hungrig?
Dieser widersprüchlich klingende Zustand wird mit dem Fachausdruck „Hidden Hunger“, dem verborgenen Hunger, bezeichnet. Er bezeichnet das Fehlen bzw. die Unterversorgung mit lebenswichtigen Nahrungsbestandteilen, wie Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen, den sogenannten Mikronährstoffen.
Mikrokomponenten der Nahrung sind für den menschlichen Organismus genauso unverzichtbar wie die drei klassischen Makrobestandteile Eiweiße, Kohlenhydrate und Fette. Anders als ein Mangel dieser Makronährstoffe, der relativ schnell auffällt, äußern sich die Defizite in der Mikronährstoffbilanz über einen deutlich längeren Zeitraum nicht mit klinischen Symptomen und bleiben daher lange unbeachtet. Fehlen Mikronährstoffe, so wird dies erst sichtbar, wenn schon ein mehr oder weniger ausgeprägter Mangel vorliegt. Dies führt zu schwerwiegenden Folgen: Kinder, die in den ersten beiden Jahren ihres Lebens eine viel zu geringe Menge Mikronährstoffe erhalten, haben nicht nur eine drastisch erhöhte Sterblichkeitsrate und eine insgesamt verkürzte Lebenserwartung, sondern leiden später auch an irreversiblen Störungen in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung. Beispielsweise kann eine deutliche Abweichung von Körpergröße und -gewicht von dem jeweilige Mittelwert der Altersgruppe nach unten ein Zeichen für frühkindliche Mangelernährung sein.
Am weitesten verbreitet ist die Unterversorgung mit Vitamin A, Eisen, Jod und Zink. Sie verursachen unter anderem die folgenden Symptome:
Vitamin A | Erblindung, Nachtblindheit, Atemwegsinfekte, Lungenfunktionsstörungen
Mangel in der Schwangerschaft: Entwicklungsstörung, Lungenfunktionsstörung |
Eisen | Beeinträchtigung von Gehirnentwicklung und Verhalten, begrenzte Lernfähigkeit bei Lesen, Schreiben und Assoziieren, Verstärkung von Angst und Depression, Häufung von Anämien
Mangel in der Schwangerschaft: erhöhte Sterblichkeit |
Jod | Störung der mentalen Entwicklung
Mangel in der Schwangerschaft: Entwicklungsstörung, angeborene Taubheit |
Zink | Störung der mentalen und körperlichen Entwicklung, Wachstumsverlangsamung, eingeschränktes Immunsystem, Schleimhautentzündungen, Häufung von Durchfallerkrankungen (dadurch weitere Steigerung der Defizite) |
Armut und Mangelernährung hängen auf fatale Weise zusammen. Wer arm ist, kann sich und seine Kinder oft nicht ausreichend ernähren, wer mangelernährt ist, insbesondere in der frühen Kindheit, hat ein hohes Risiko in der Armut zu verbleiben. Damit ist der verborgene Hunger nicht allein ein Problem von armen Ländern, sondern kann auch in hoch entwickelten, westlichen Nationen auftreten.
Zum Welt-Hunger-Tag sollte das Augenmerk also nicht nur auf dem sichtbaren, „mageren“ Hunger liegen, sondern auch auf dem verborgenen, „übergewichtigen“ Hunger liegen.
Um den Hidden Hunger sowohl hier als auch in der Dritten Welt zu bekämpfen, gibt es verschiedene Ansätze. Entscheidend hierbei ist, dass die Hilfen frühzeitig einsetzen, zumal besonders die Ernährung der Kinder bis zum zweiten Lebensjahr maßgeblich Einfluss auf die körperliche und geistige Entwicklung hat. Wissenschaftler empfehlen daher präventive Maßnahmen im prägenden 1.000 Tage – Zeitfenster, das die Phasen der Ernährung in der Schwangerschaft, in der Stillzeit und die Zeit nach dem Stillen bis zum Ende des zweiten Lebensjahres einschließt.