Eine kürzlich veröffentlichte Studie1 US-amerikanischer Autoren gelangt zu dem Ergebnis, dass Nahrungsergänzungen mit Selen das Risiko für Prostatakrebs erhöhen können. Die Wissenschaftler hatten für ihre Arbeit die Daten der 2008 gestoppten Select-Studie (Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial) erneut analysiert.
Im Einzelnen zeigte sich dabei, dass Supplementierungen mit Selen bei Männern mit niedrigem Selenstatus das Risiko für ein Prostatacarcinom steigern können; bei hohem Selenstatus erhöht sich demnach die Wahrscheinlichkeit, an besonders aggressivem Prostatakrebs zu erkranken. Auch Vitamin E soll bei Männern mit niedrigem Selenspiegel das Prostatakrebsrisiko vergrößern.
Eine allgemeine Empfehlung für oder gegen die Einnahme von Selen-Supplementen lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Ein wesentlicher Aspekt sind die Wechselwirkungen zwischen Vitamin E und Selen.
In der Select-Studie war nur die alpha-Tocopherol-Zufuhr mit Supplementen gegenüber Placebos erfasst worden, nicht aber der grundlegende Vitamin-E-Status, also die entsprechenden Blutkonzentrationen. Sie liegen beispielsweise bei einem großen Teil der männlichen US-Bürger über 50 Jahren unterhalb der empfohlenen Werte. In der Select-Studie wurden relativ hohe Selen-Dosen verabreicht (200 Mikrogramm/Tag) und der Selenspiegel im Plasma bis auf 250 Nanogramm/Milliliter gesteigert. In hohen Dosen ist Selen toxisch. Eine neuere Metaanalyse2 mit Plasmakonzentrationen unterhalb 170 Nanogramm/Milliliter zeigt demgegenüber ein deutlich verringertes Krebsrisiko bei Selen-Plasmakonzentrationen zwischen 135 und 170 Nanogramm/Milliliter – gegenüber Männern mit nur 60 Nanogramm/Milliliter.
Das bis heute ungenaue Bild zum Zusammenhang von Selen und Krebs, beziehungsweise dessen Prävention, kann nur klarer werden, wenn Studien zu diesem Thema möglichst viele Aspekte einbeziehen, wie etwa körperliche Aktivität der Teilnehmer, Versorgung und Wechselwirkungen mit anderen Mikronährstoffen, allgemeine Ernährung usw. Zudem muss der genetische Status berücksichtigt werden; je nach Genvariante wird Selen deutlich unterschiedlich metabolisiert.3 In der Select-Studie wurden diese Faktoren nicht berücksichtigt.
Quellen:
1) Kristal AR et al.; Baseline selenium status and effects of selenium and vitamin E supplementation on prostate cancer risk, J Natl Cancer Inst, 2014; 106(3): 456
2) Hurst R et al.; Selenium and prostate cancer: systematic review and meta-analysis, Am J Clin Nutr 2012; 96: 111-22
3) Penney KL et al.; A large prospective study of SEP15 genetic variation, interaction with plasma selenium levels, and prostate cancer risk and survival, Cancer Prev Res (Phila) 2010; 3: 604-10