Schon vor über 200 Jahren bezeichnete der deutsche Dichter August von Kotzebue die Sonne als „Universalarznei aus der Himmelsapotheke“, ohne zu ahnen, wie recht er damit hatte. Der Dramatiker wusste nicht, dass uns die Sonne hilft, unseren Vitamin-D-Spiegel aufrecht zu halten. Trotz dieses Wissens weisen aber auch heute etwa 15 Prozent der Deutschen defizitäre Vitamin-D-Spiegel auf. Dabei kann der individuelle Versorgungsstatus mit Vitamin D durch eine Messung des 25-Hydroxyvitamin-D-(25[OH]D)-Spiegels im Blut eingeschätzt werden. Hierbei handelt es sich um das erste Hydroxylierungsprodukt des Vitamin D im menschlichen Organismus. Diese Einführung von OH-Gruppen in die Moleküle findet in der Leber statt, nachdem Vitamin D zuvor in der Haut gebildet oder mit der Nahrung aufgenommen wurde.
Vitamin D nimmt eine wichtige Sonderstellung unter den Vitaminen ein: Unter Einfluss von Sonnenlicht, genauer UVB-Strahlung, kann der Körper das Vitamin selbst synthetisieren. Dazu wird in Leber und Darmschleimhaut zunächst die Vorstufe Provitamin D3 gebildet. In der Haut entsteht daraus unter Einwirkung von UVB-Strahlung das Prävitamin D3. Dieses wiederum wird unter dem Einfluss der Körperwärme zu Vitamin D3 (Cholecalciferol), das eine Vorstufe für das eigentliche hormonaktive Vitamin D (Calcitriol) darstellt. In unseren Breitengraden ist der UVB-Anteil im Sonnenlicht jedoch nur etwa sechs Monate lang hoch genug, um genügend Vitamin D zu synthetisieren. In der restlichen Zeit reicht die Strahlung nicht aus, um den Tagesbedarf an Vitamin D zu bilden. Im Hochsommer allerdings wird schon nach etwa zehn Minuten der Tagesbedarf gedeckt. Die Tageshöchstmenge von 250 Mikrogramm (µg) ist, abhängig vom Individuum, nach etwa 30 Minuten erreicht. Grundsätzlich kann das „Sonnenvitamin“ dann im Fettgewebe und der Muskulatur gespeichert werden.
Bei Personen, die im Sommer intensiv sonnenbaden, reicht der Vorrat vielleicht aus, um ohne Mangel durch den Winter zu kommen. Allerdings führen viele Faktoren dazu, dass oft kein hinreichendes Depot gebildet wird: Hierzu zählen die tägliche Arbeit im Büro, Freizeitaktivitäten in geschlossenen Räumen, Verwendung von Sonnenschutzcremes oder religiös bedingte Verhüllung des ganzen Körpers. Einer besseren Vitamin-D-Versorgung stehen auch die teilweise sehr strikten Verhaltensregeln zur Vermeidung von Hautkrebs entgegen: Sonnencreme mit einem hohen Lichtschutzfaktor blockiert eben auch die UVB-Strahlung entsprechend. Viele Mediziner raten deshalb dazu, etwa die ersten zehn Minuten (sehr empfindliche Personen etwas kürzer) auch in der Mittagssonne ohne besonderen Schutz zu verbringen, um die Vitamin D-Produktion anzukurbeln.
Ungenügende Zufuhr über Lebensmittel
Vitamin D kann zwar auch über die Nahrung aufgenommen werden, allerdings spricht das reale Ernährungsverhalten der Bevölkerung dagegen: Nur die Wenigsten würden die empfohlene Tagesdosis von 20 µg etwa über den Konsum von fettem Seefisch wie Aal, Lachs und Hering erreichen. Der Referenzwert wurde erst Anfang 2012 von den Ernährungsgesellschaften Deutschlands, Österreichs und der Schweiz auf 20 µg pro Tag, bei fehlender Hautsynthese, angehoben. Von Experten wird daher empfohlen, die Differenz zwischen der tatsächlichen Zufuhr und dem Referenzwert mit entsprechender Einnahme von Vitamin-D-Präparaten zu decken.
Verringertes Osteoporose-Risiko
Warum ist die Vitamin-D-Zufuhr so wichtig? Zum Beispiel regelt Vitamin D den Calciumstoffwechsel und ist damit unentbehrlich für gesunde Knochen und Zähne. Ein Mangel kann zu schweren Skeletterkrankungen führen. Dabei ist die Osteoporose die bekannteste Form, die besonders ältere Menschen betrifft. Im Jahr 2003 litten in Deutschland 7,8 Millionen Menschen unter einer manifesten Osteoporose, wie aus Krankenkassendaten des Jahres hervor geht. Die damit verbundenen Kosten liegen jährlich bei mehreren Milliarden Euro. Und bis zum Jahr 2020 wird sich die Zahl der an Osteoporose-Leidenden aufgrund der demografischen Entwicklung vermutlich noch verdoppeln.
Vitamin D spielt in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Rolle für die Knochengesundheit. Zunächst steigert es dabei die Aufnahme von Calcium und Phosphor im Darm: Ohne Vitamin D werden nur 10 bis 15 Prozent des Nahrungscalciums und etwa 60 Prozent des Phosphors absorbiert, mit Vitamin D steigt die Effizienz der Calciumausnutzung auf 30 bis 40 Prozent und die des Phosphors auf ca. 80 Prozent. Zusammen mit Calcium aktiviert Vitamin D spezifische Rezeptoren im Knochen, wodurch die Gewebevermehrung sowie die Kollagensynthese der Prä-Osteoblasten, also der Vorstufe der knochenbildenden Zellen, gesteigert werden. Deswegen ist neben der ausreichenden Vitamin-D-Versorgung auch eine orale Aufnahme von Calcium sehr wichtig. Anschließend fördert Vitamin D durch eine Rezeptorvermittelte Reaktion die Differenzierung der Osteoblasten, wodurch es zur Reifung des Knochengerüsts und dessen Mineralisation beiträgt.
Ein Vitamin-D-Mangel hat also zur Folge, dass die Differenzierung der knochenbildenden Zellen gestört ist. Zusätzlich führen niedrige Vitamin-D-Werte eben dazu, dass nicht genug Calcium aus dem Darm aufgenommen werden kann. Somit sinkt der Calciumspiegel im Blut. Als Gegenmaßnahme mobilisiert der Körper nun Calcium aus dem Skelett. Dafür werden resorbierende Osteoklasten aktiviert und der Knochen letztendlich abgebaut.
Einen Beweis hierfür bieten verschiedene Beobachtungsstudien1: Patienten mit niedrigen 25(OH)D-Konzentrationen hatten ein um bis zu 34 Prozent höheres Frakturrisiko als Patienten mit hohen Serumwerten2. Die Metaanalyse von randomisierten kontrollierten Studien kam zu dem Schluss, dass bei Personen über 65 Jahren etwa 20 Prozent der Nicht-Wirbelkörperfrakturen verhindert werden können, wenn der 25(OH)D-Spiegel mindestens 30 bis 32 ng/ml erreicht. Dabei wurde in dieser Analyse auch die therapeutische Kooperation der Patienten berücksichtigt: Die Datenauswertung erfolgte unter Beobachtung der von den Patienten tatsächlich aufgenommenen Menge an Vitamin D und nicht nur im Hinblick auf die in der Studie verordneten Dosis.
Um die angestrebten Zielwerte von 30 bis 32 ng/ml im Blut zu erreichen, muss in Mitteleuropa in der Regel eine Zufuhr von täglich mindestens 20 µg (800 Internationale Einheiten) Vitamin D erfolgen. Bei Patienten mit Osteoporose empfiehlt der Dachverband Osteologie die Einnahme von bis zu 50 µg Vitamin D3. Als besonders gefährdet gelten Heimbewohner. Doch auch bereits in jungen Jahren ist eine ausreichende Zufuhr an Vitamin D wichtig, um eine möglichst hohe Knochenmasse aufzubauen und so die Knochengesundheit zu optimieren. Gleichzeitig sollte eine adäquate tägliche Calciumzufuhr von 1.000 mg gewährleistet sein.
Weitere Erkrankungen und Mortalität
Nicht nur die Knochen profitieren von dem „Sonnenvitamin“: Es verbessert auch die Muskelkraft und das Zusammenspiel von Nerven und Muskulatur. So reduziert es Gleichgewichtsstörungen und letztlich das Sturzrisiko. Unabhängig von dem Risiko, einen Knochenbruch zu erleiden, gibt es auch Hinweise darauf, dass ein Vitamin-D-Defizit Einfluss auf die Sterblichkeit hat. Autier und Gandini veröffentlichten 2007 eine Metaanalyse randomisierter kontrollierter Studien zum Thema Vitamin D und Gesamtmortalität3. Basierend auf Daten von mehr als 57.000 Personen und fast 5.000 Todesfällen im Untersuchungszeitraum wurde deutlich, dass das Mortalitätsrisiko bei Personen mit Vitamin-D-Supplementierung um acht Prozent niedriger lag, als bei Personen, die kein zusätzliches Vitamin D einnahmen. Der Untersuchungszeitraum betrug im Mittel 5,7 Jahre, die tägliche Vitamin-D-Gabe 10 bis 20 µg (400 – 800 Internationale Einheiten). Eine weitere Studie bestätigt diese Ergebnisse4: Bei Personen, die mit Vitamin D3 substituierten, war die Sterblichkeit im Untersuchungszeitraum im Mittel sechs Prozent geringer als bei Personen, die kein zusätzliches Vitamin D einnahmen. Signifikant ist eine Reduktion der Sterblichkeit um zwei bis neun Prozent. Somit wird deutlich, welche Chancen eine angemessene Vitamin-D-Supplementierung für die Lebensdauer bieten kann!
Die beobachtete, durch Vitamin-D-Mangel erhöhte Mortalitätsrate hat neben der Osteoporose vermutlich noch weitere Ursachen: Aufgrund der Tatsache, dass für praktisch alle menschlichen Gewebe Vitamin-D-Rezeptoren nachgewiesen wurden, kann davon ausgegangen werden, dass Vitamin D auch dort wichtige regulatorische Funktionen ausübt. So gibt es vermehrt Hinweise darauf, dass es einen Zusammenhang zu – in Industrieländern zunehmenden – chronischen Erkrankungen wie Herz-Kreislauferkrankungen, bestimmten Tumorarten, Diabetes Mellitus und Multiple Sklerose gibt5.
Versorgung dringend verbessern
Allein die beschriebenen Studien würden schon umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung von Vitamin-D-Mangel rechtfertigen. Denn bei einer oralen Einnahme von täglich 20 µg kann wahrscheinlich das Auftreten von Vitamin-D-Defiziten vermieden werden. Möglicherweise ergeben sich somit durch eine effektive Vitamin-D-Substitution allein in Deutschland auch Kosteneinsparungen im Gesundheitsbereich in Milliardenhöhe6. Unter besonderer Beobachtung sollten dabei vor allem Risikogruppen wie Alten- und Pflegeheimbewohner stehen. Zudem können eine umfassende Aufklärung der Ärzteschaft über die Vitamin-D-Problematik und Gegenmaßnahmen eine sinnvolle Ergänzung sein.
Quellen:
1) Scragg R; Vitamin D and public health: an overview of recent research on common diseases and mortality in adulthood. In: Public Health Nutr. 2011; 14: 1515-32
2) Bischoff-Ferrari HA, Willet WC, Wong JB et al.; Prevention of nonvertebral fractures with oral Vitamin D and dose dependency: a meta-analysis of randomized controlled trials. In: Arch Intern Med 2009b; 169: 551-61
3) Autier P, Gandini S; Vitamin D supplementation and total mortality: a meta-analysis of randomized controlled trials. In: Arch Intern Med 2007; 167: 1730-7
4) Bjelakovic G, Gluud LL, Nikolova D et al.; Vitamin D supplementation for prevention of mortality in adults. In: Cochrane Database Syst Rev. 2011; 7: CD007470
5) Zittermann A, Gummert JF; Nonclassical vitamin D actions. In: Nutrients 2010; 2: 408-25
6) Zittermann; The estimated benefits of vitamin D for Germany. In: Mol Nutr. Food Res 2010; 54: 1164-71