Die Menschen werden immer älter und bleiben dabei offenkundig immer länger fit – auch dank besserer Ernährung. Heute könnte sich jeder seinen Speiseplan so zusammenstellen, dass er auf jeden Fall ausreichend mit Vitaminen, Mineralien und anderen essentiellen Stoffen versorgt wäre. Die Frage nach einer zusätzlichen Mikronährstoffversorgung liegt also auf den ersten Blick nicht unbedingt nahe. Jeder Mensch hat entsprechend seiner Konstitution, seiner Lebensweise, seiner eventuell vorhandenen Krankheiten und vieler weiterer Faktoren individuell spezifische Nährstoffbedürfnisse. Diese verändern sich mit zunehmendem Alter.
Trotz aller theoretisch vorhandenen Möglichkeiten, sich gesund zu ernähren, gelten gerade Senioren als Risikogruppe für Ernährungsstörungen und damit für Unterversorgungen, Hochbetagte (über 80-Jährige) sogar auch für Mangelernährung. Ältere Menschen benötigen im Allgemeinen durch nachlassende Mobilität und damit geringerer körperlicher Aktivität weniger Kalorien. Sie neigen dazu, weniger zu essen, zum Teil auch, weil das Geruchs- und Geschmacksempfinden nachlässt und damit der Genuss am Essen verloren geht. Der Bedarf an Mikronährstoffen bleibt allerdings unverändert oder steigt je nach den beschriebenen Lebensumständen sogar. Folge: Viele, die weniger essen, nehmen auch weniger Mikronährstoffe zu sich und werden dadurch nicht ausreichend mit bestimmten Vitaminen und Mineralstoffen versorgt. Bei einer vor kurzem durchgeführten Untersuchung an über 70-jährigen Krankenhauspatienten wurden bei 43 Prozent von ihnen Mangelsymptome festgestellt1.
Unterversorgung oder gar Mangelernährung muss nicht immer Folge von unzureichender Nährstoffzufuhr sein. Auch schlechte Verwertung oder erhöhter Bedarf an Mikronährstoffen als Folge von Medikamenteneinnahme und Erkrankungen kommen als Ursache in Frage. Für die Betroffenen kann das beispielsweise ein sich verschlechternder Immunstatus mit höherer Anfälligkeit für Infekte, häufigere und längere Krankenhausaufenthalte, höheres Risiko für Komplikationen und letztendlich eine geringere Lebensqualität bedeuten. Vielfach werden Beschwerden dann als altersbedingt oder gar alterstypisch betrachtet und nicht einer Unterversorgung mit Mikronährstoffen zugeordnet. Klassische Vitaminmangelsymptome treten erst bei länger andauernder und sehr ausgeprägter Mangelversorgung auf, wie sie in Mitteleuropa sicherlich sehr selten sind. Die schleichende Unterversorgung zeigt dagegen zunächst kein auffälliges klinisches Bild. Da Defizite zumeist nicht bei einzelnen, sondern eher bei mehreren Mikronährstoffen auftreten, kann aber das Gesamtbefinden erheblich beeinträchtigt sein.
Besonders häufig sind Defizite bei den Vitaminen D, E, Folsäure, B2, B6 und B12. Erhebungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zufolge kommt weniger als die Hälfte der älteren Menschen in Pflegeheimen bei diesen Vitaminen auf die empfohlene Tagesdosis; bei Vitamin D sind es sogar nur 10 Prozent.
Beispiel Vitamin D
Vitamin D unterstützt im Darm die Aufnahme von Calcium und Phosphor; ohne Vitamin D würden nur zehn bis fünfzehn Prozent des Calciums in der Nahrung aufgenommen werden und nur sechzig Prozent des Phosphors. Bei zu niedrigem Vitamin-D-Spiegel ist zudem die Reifung der knochenbildenden Zellen, der Osteoblasten, gestört. Vitamin D ist also von essentieller Bedeutung für den Calciumstoffwechsel und für stabile Knochen – wer schlecht damit versorgt ist, hat ein gesteigertes Risiko, an Osteoporose zu erkranken. Daran leiden allein in Deutschland über sechs Millionen Menschen (Stand 2009), mehr als drei Viertel davon sind Frauen. Wegen der Gefahr von Knochenbrüchen ergibt sich daraus insbesondere für ältere Menschen eine Vielzahl möglicher Komplikationen.
Nicht nur stabile Knochen benötigen eine gute Vitamin-D-Versorgung: Vitamin-D-Rezeptoren finden sich in praktisch allen Geweben des menschlichen Körpers. Dies legt nahe, dass es sehr umfassende regulatorische Funktionen wahrnimmt. So lassen sich unterdurchschnittlich niedrige Vitamin-D-Serumspiegel bei einer ganzen Reihe von Erkrankungen nachweisen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Multiple Sklerose und weitere in den Industrieländern häufige Leiden2. Vitamin D wird in der Haut unter UV-Licht-Bestrahlung gebildet. In Mitteleuropa allerdings gilt dies nur für die Sommermonate und die Mittagszeit, nicht aber später am Tag oder während der Monate mit weniger intensiver Sonnenstrahlung. Die Fähigkeit der Haut zur Vitamin-D-Synthese lässt aber mit zunehmendem Alter nach und fällt schließlich gegenüber einem Zwanzigjährigen bis auf ein Drittel ab. Ältere Menschen müssten sich für eine ausreichende Vitamin-D-Produktion also länger in der Sonne aufhalten als jüngere. Viele Senioren kommen allerdings seltener an die Sonne, weil sie weniger mobil sind, besonders Heimbewohner oder pflegebedürftige Menschen sind daher auf andere Vitamin-D-Quellen angewiesen.
Nur wenige Nahrungsmittel kommen für eine nennenswerte Vitamin-D-Zufuhr in Frage. Vor allem fetter Seefisch wie Hering oder Lachs enthalten größere Mengen, aber auch Eier und verschiedene Pilze. Die empfohlene Tagesdosis von zehn Mikrogramm Vitamin D erreicht man mit dem Verzehr von etwa vierzig Gramm frischem Hering oder jeweils etwa einem halben Kilogramm Eiern oder Champignons. Eine dementsprechende Diät erscheint allerdings wenig realistisch, umstandsloser kommt man auf seine Tagesdosis mit Vitamin-D-Präparaten. Wer dabei vor allem seine Knochengesundheit im Fokus hat, sollte allerdings auch auf eine ausreichende Zufuhr von Calcium achten.
Beispiel B-Vitamine
Wenig beachtet und oft unterschätzt wird der Vitamin-B12-Status von älteren Menschen. Um das Vitamin aus der Nahrung aufzunehmen, bedarf es vor allem der Magensäure. Eine verminderte Magensäureproduktion, wie sie bei ca. 30 Prozent der 60-Jährigen und Älteren in Form einer atrophischen Gastritis gefunden wird, kann die Verwertung und damit die Aufnahme des B12 erschweren oder sogar verhindern. Außerdem wird noch ein spezielles in der Magenschleimhaut gebildetes Protein benötigt, der sogenannte „Intrinsic factor“, der erst die Resorption im Dünndarm ermöglicht. Eine bestimmte seltene Autoimmunerkrankung, die pernizöse Anämie, kann auch zu einem vollständigen Fehlen dieses Proteins und damit zu besonders ausgeprägten Vitamin-B12-Defiziten führen.
Auch Medikamente können den Vitamin-B12-Status beeinflussen. Das bei Diabetes häufig verschriebene Metformin beispielsweise kann die Vitamin-B12-Werte senken. Da ein Großteil älterer Menschen an dieser Krankheit leidet, sollte dieser Zusammenhang beachtet werden, um Defizite rechtzeitig zu entdecken.
Da Vitamin B12 besonders wichtig für die einwandfreie Funktion der Nerven und des Nervensystems ist, können sich Mangelzustände zum Beispiel in neurologischen Funktionsstörungen der peripheren Nerven, Polyneuropathie, Gangunsicherheit und Koordinationsstörungen zeigen. Darüber hinaus können aber auch psychische Symptome wie mangelnde Konzentrationsfähigkeit, Merkfähigkeit, und andere neuropsychiatrische Störungen auftreten. Neue Forschungsergebnisse berichten über einen häufigen Mangel an Vitamin B12 bei unterschiedlichen neurodegenerativen und neuropsychiatrischen Erkrankungen wie beispielsweise Morbus Alzheimer oder Schizophrenie.
Vitamin B12 wird in ausreichenden Mengen nur in tierischen Nahrungsmitteln wie Leber, Fleisch, Fisch, Eiern und Milch(-produkten) gefunden. Da Vitamin B12 von Bakterien produziert wird, findet man es auch in bakteriell vergorenen Produkten wie Bier, Sauerkraut, Miso und Ähnlichem, so dass Vegetarier/Veganer ihren Bedarf durch den Verzehr dieser Lebensmittel theoretisch decken könnten. In der Praxis dürfte dies allerdings eher schwierig sein, so dass Vegetarier/Veganer vielfach auf eine Versorgung mit B12 aus Tabletten/Kapseln angewiesen sind.
Folsäuredefizite betreffen alle Altersgruppen, Senioren aber ganz besonders. Es handelt sich dabei um ein Vitamin, das schon durch Lagerung, Erhitzen und andere Formen des Verarbeitens verloren gehen kann. Folatreiches Essen sollte also möglichst frisch sein. Da ältere Menschen häufig weniger Frischkost wie etwa Salate oder frisches Obst verzehren, sind bei ihnen Folsäuredefizite besonders häufig. Wer sich folatreich ernährt, kann sich auch im Alter geistig fit und sein Gedächtnis sowie seine Reaktionsfähigkeit besser erhalten, wie eine Studie an 50- bis 70-jährigen Holländern belegt5.
Wie sehr sich altersspezifische Faktoren auf die Mikronährstoffversorgung auswirken, lässt sich auch gut an Vitamin B6 und Folsäure zeigen. Wenn das Essen wegen der mit zunehmendem Alter häufiger auftretenden Kau- und Schluckprobleme besonders lang weich gekocht wird, gehen auch mehr Mikronährstoffe verloren. Geht man dabei von einem Verlust von grob geschätzt 50 Prozent bei den genannten Vitaminen aus, dann müssten für den täglichen Bedarf an Vitamin B6 etwa 450 Gramm Leber, 550 Gramm Hühnerfleisch oder rund 1,5 Kilogramm Kartoffeln verspeist werden. Für die tägliche Dosis Folsäure müsste man sogar 600 Gramm Leber oder etwa 3 Kilogramm Spinat verzehren. Praxistauglich sind solche Werte nicht, man kommt also um eine Supplementierung nicht herum, wenn man Defizite mit all ihren negativen Auswirkungen vermeiden möchte.
Vitamin B6 steht im Zusammenhang mit dem Eiweißstoffwechsel und kommt in vielen tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln vor. Entwässernde Medikamente können zu einer erhöhten Ausscheidung des Mikronährstoffs mit dem Urin und damit zu Defiziten führen.
Die Aminosäure Homocystein, ein Stoffwechselzwischenprodukt, für deren Stoffwechsel die Kombination aus Vitamin B12, Folsäure und Vitamin B6 notwendig ist, steht im Verdacht, verschiedene Erkrankungen wie Demenz, Arteriosklerose, Depression und andere zu fördern. So gilt ein erhöhter Homocysteinspiegel als eigener Risikofaktor für Arteriosklerose3. Auch nachlassende körperliche Fähigkeiten, wie sie kennzeichnend für Gebrechlichkeit sind – Defizite in der Gangsicherheit, beim Gleichgewicht, in der Koordination usw. – scheinen durch höhere Homocysteinwerte begünstigt zu werden4.
Ältere Menschen sollten besonders auf eine ausreichende Vitamin-E-Zufuhr achten. Als entzündungshemmendes Antioxidans kann es bei allen chronischen oder schleichenden Erkrankungen den sehr häufig mit einhergehenden Entzündungen entgegenwirken. So konnte nachgewiesen werden, dass ältere Menschen, die gut mit Vitamin E versorgt sind, sich körperlich besser halten und ein deutlich geringeres Risiko haben, gebrechlich zu werden6.
Quellen:
1) Pirlich M et al.; The german hospital malnutrition study, Clin Nutr 2006; 24:563-572
2) Zittermann A, Gummert JF; Nonclassical vitamin D actions, Nutrients 2010; 2:408-25
3) Homocysteine Studies Collaboration. Homocysteine and risk of ischemic heart desease and stroke: a meta-analysis. JAMA 2002; 288 (16):2015-2022
4) Kado DM et al.; Homocysteine level and decline in physical function: MacArthur Studies of succesfull aging. Am J Med 2002; 113:537-42
5) Durga J et al.; Effect of 3-year folic acid supplementation on cognitive function in older adults in the FACIT trial: a randomized, double blind, controlled trial. Lancet 2007; 369:208-216
6) Bartali B et al.; Serum micronutrient concentrations and decline in physical function among older person; Journal of the American Medical Association. 2008 Jan 23; 299(3):308-15