Altern in der zweiten Lebenshälfte geht in aller Regel einher mit einem Verlust an körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit. Bereits ab etwa dem fünfzigsten Lebensjahr wird Muskelmasse abgebaut – jährlich zunächst zwischen ein und zwei Prozent und etwa ab dem sechzigsten Lebensjahr noch mehr. Die Ursache dafür sind hormonelle sowie neurodegenerative Veränderungen und Entzündungsprozesse. Diese Entwicklung mündet später mehr oder weniger in Gebrechlichkeit, das heißt: geringe Belastbarkeit, schnelles Ermüden, allgemeine Schwäche usw. Für die Betroffenen bedeutet dies eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Selbständigkeit und Lebensqualität.
Alle Bemühungen, fit und gesund zu bleiben, richten sich deshalb darauf, diese Prozesse zu verzögern. Dem Abbau von Muskelmasse kann man mit Sport entgegenwirken. Jedoch spielt auch die Ernährung eine wichtige Rolle. Mit zunehmendem Alter kommt es häufig zu Fehl- und Mangelernährung. Die Gründe dafür liegen im verringerten Grundumsatz, nachlassendem Appetit, Kaubeschwerden und anderen Faktoren wie Depression, mangelnder Mobilität, häufiger Fertignahrung usw. Schon eine proteinreiche Kost wirkt sich günstig – das heißt verzögernd – auf den Verlust an Muskelmasse aus.
Von besonderer Bedeutung sind allerdings bestimmte Mikronährstoffe, allen voran Vitamin D. Mangelt es daran, sind auch Muskelfunktionen beeinträchtigt. So konnte in mehreren klinischen Studien gezeigt werden, dass ein gutes Gleichgewicht von einer ausreichenden Versorgung mit Vitamin D abhängig ist.
Dass Heimbewohner und Klinikpatienten besonders häufig unter Vitamin-D-Mangel leiden, zeigt auch eine Studie an einer geriatrischen Klinik in Trier. Von den über 1.500 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 82 Jahren wiesen 89 Prozent einen Vitamin-D-Mangel auf (< 20 ng/ml 25-OH-Vitamin-D), zwei Drittel der Patienten zeigten schwere Mängel (< 10 ng/ml 25-OH-Vitamin-D) und weniger als fünf Prozent erreichten den Zielwert 30 bis 60 ng/ml.2
Da 95 Prozent der Patienten dieser Studie vor ihrer Einweisung in die Klinik zu Hause gelebt hatten, kann man darauf schließen, dass die Unterversorgung nicht auf Kliniken und Heime beschränkt ist. Dies geht auch aus einer Untersuchung des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahre 1996 hervor, die bei drei Vierteln der 65- bis 79-Jährigen Frauen Werte unter 20 ng/ml 25-OH-Vitamin-D ergab.3
Dieses Bild gilt nicht nur für Deutschland, praktisch in allen Industrieländern werden immer wieder ähnliche Ergebnisse festgestellt. In Anbetracht dermaßen häufiger Vitamin-D-Defizite stellt sich die Frage, ob nicht ein Großteil sogenannter typischer Altersbeschwerden, wie Schwäche, Schmerzen im Bewegungsapparat und Gebrechlichkeit, nicht einfach Folgen und Symptome eines chronischen Vitamin-D-Mangels darstellen.
Es ist schwierig, sich ausreichende Mengen an Vitamin D über die Nahrung zuzuführen. Dies gilt erst recht bei bereits vorliegendem Mangel, wenn erst einmal ein ausreichender Blutspiegel aufgebaut werden muss. Jüngere Menschen können sich einfach öfters der Sonne aussetzen, zumindest in den Sommermonaten. Für alte Menschen stellt sich diese Alternative häufig nicht mehr, zumal ja auch die Bildung von Vitamin D in der Haut von Älteren reduziert ist. Somit können sie praktisch nur durch zusätzliche Aufnahme von Vitamin D z. B. in Tablettenform Defizite beheben oder einen dauerhaft ausreichenden Blutwert aufrechterhalten.
Neben Vitamin D spielen für die Aufrechterhaltung von Gesundheit und Wohlbefinden im Alter noch einige andere Mikronährstoffe eine wichtige Rolle. Lange unterschätzt wurden beispielsweise mehrfach ungesättigte Fettsäuren.
Der positive gesundheitliche Einfluss einer Seefisch-reichen Kost wurde vielfach nachgewiesen. Insbesondere geht es dabei um die Omega-3-Fettsäuren DHA und EPA, die vor allem in fettem Seefisch wie etwa Makrele, Hering oder Lachs, aber auch in Nüssen vorkommen. Sie werden unter anderem vom Nervensystem benötigt. Eine Untersuchung an über 1.500 demenzfreien Senioren mit einem Durchschnittsalter von 67 Jahren zeigt diese positiven Wirkungen: Das Viertel der Patienten mit den niedrigsten DHA-Werten hatte nicht nur ein kleineres Gehirn als Patienten mit höheren DHA-Blutwerten, sondern erbrachte auch schlechtere Leistungen beim Erinnern und anderen geistigen Fähigkeiten wie Problemlösen und abstraktes Denken.4
Ganz grundsätzlich scheint eine mikronährstoffreiche Ernährung dem Abbau geistiger Fähigkeiten bis hin zur Demenz und Alzheimer entgegen zu stehen.
Auch das Herz-Kreislauf-System profitiert von Omega-3-Fettsäuren. Die gesammelten Ergebnisse dreier großangelegter Studien mit zusammen 32.000 Teilnehmern zeigten eine Verringerung kardiovaskulärer Vorfälle um ca. 20 bis 45 Prozent, wenn die Patienten entweder regelmäßig Fisch auf dem Speiseplan hatten oder wenn sie Fischölkapseln einnahmen.5 Die Verfasser empfehlen Gesunden, täglich 250 bis 500 Milligramm langkettiger Omega-3-Fettsäuren und Patienten mit Herz-Kreislauf-Problemen mindestens 1 Gramm täglich zu sich zu nehmen.
Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D verdienen in diesem Text besondere Beachtung, weil sich ihre fundamentale Bedeutung für den menschlichen Organismus erst nach und nach erschließt. Grundsätzlich ist eine optimale Versorgung mit allen Vitaminen, Spurenelementen und anderen Mikronährstoffen Voraussetzung für ein langes Leben bei guter Gesundheit. Abschließende Erkenntnisse gibt es nicht in der Wissenschaft, das zeigt sich auch bei den kürzlich geänderten Vitamin-D-Empfehlungen. Es lohnt sich, die Diskussion im Auge zu behalten.
Die besondere Bedeutung von Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren für die Verhinderung von chronischen Alterserkrankungen wird auch demnächst in einer großen europäischen klinischen Studie, der sogenannten Do-Health Study, überprüft werden. Über zweitausend Senioren werden in diese Studie aufgenommen werden und mit Vitamin D, Fischöl und einem zusätzlichen muskulären Training behandelt werden. Die Studie wird über 5 Jahre laufen und ist ein Projekt, das in seiner Bedeutung für die öffentliche Gesundheit auch von der Europäischen Kommission anerkannt wurde. Neben verschiedenen Firmen wird auch die Kommission die Durchführung der Studie mit mehreren Millionen Euro unterstützen.6
Quellen:
1) Kaiser R et al.; Nährstoffstatus von Pflegeheimbewohnern – Ergebnisse einer Longitudinalstudie, Aktuel Ernaehrungsmed, 2010; 35: 153-154
2) Schilling S; Epidemic Vitamin D Deficiency among patients in an elderly care rehabilitation facility, Dtsch Arztebl Int 2012; 109(3): 33-88; DOI: 10.3238/arztebl.2012.0033
3) Hintzpeter B et al.; Vitamin D status and health correlates among German adults. Eur J Clin Nutr 2008; 62: 1079-90
4) Tan ZS et al.; Red blood cell omega-3 fatty acid levels and markers of accelerated brain aging. Neurology, 2012; 78 (9): 658; DOI: 10.1212/WNL.0b013e318249f6a9
5) Lee JH et al.; Omega-3 Fatty Acids for Cardioprotection, Mayo Clin Proc 2008, Volume 83, Issue 3, Pages 324-332
6) http://medicalxpress.com/news/2012-02-simple-cost-…