Das Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom ADHS hat vielfältige Ursachen. Wissenschaftler gehen von mehreren Faktoren aus, die zusammenkommen müssen. So gibt es klare Hinweise für eine genetische Disposition.
An der Universität Cardiff konnte nachgewiesen werden, dass bei Kindern mit ADHS überdurchschnittlich häufig kleine DNS-Segmente fehlen oder doppelt vorkommen. Dieses Phänomen wurde auch bei Autismus und Schizophrenie beobachtet1. Die Autoren verweisen zudem auf familiäre Häufungen der Störung, die ebenfalls für genetische Faktoren sprechen.
Auch für den Einfluss von Umweltgiften gibt es deutliche Anzeichen: Pestizide, insbesondere Organophosphate, lassen bei Kindern das Risiko für ADHS ebenso ansteigen, wie der Kontakt mit Phthalaten, die vielen Kunststoffen als Weichmacher zugesetzt werden2.
Eine ganz entscheidende Rolle spielt die Versorgung mit Mikronährstoffen. Ein gesundes und optimal ernährtes Nervensystem wird sich weniger anfällig gegen Störungen zeigen, als ein mangelhaft versorgtes und damit weniger robustes. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang mehrfach ungesättigte Fettsäuren, vor allem die Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure EPA und Docosahexaensäure DHA mit der Vorstufe Alpha-Linolensäure ALA, aber auch Omega-6-Fettsäuren.
Hier sind es vor allem Arachidonsäure AA und Dihomogammalinolensäure DGLA, mit der Vorstufe Linolsäure LA. Diese Fettsäuren sind essentiell für Entwicklung, Aufbau und Funktion unserer Nervenzellen und unseres Gehirns – unter anderem als Bausteine der Zellwand und als Vorstufe von Neurotransmittern und von entzündungshemmenden Stoffen. Gehirn, Netzhaut und andere neuronale Gewebe haben einen ungewöhnlich hohen Gehalt an solchen mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Bei ADHS-Patienten lassen sich häufig deutlich verringerte Serumwerte für mehrfach ungesättigte Fettsäuren feststellen. Dieser Befund fügt sich in das Bild von zahlreichen Studien, die positive Effekte auf ADHS-auffällige Kinder nach der Supplementierung mit Omega-3-Fettsäuren belegen. In der Oxford-Durham-Studie3 wurden nach sechs Monaten Supplementierung deutlich verbesserte Lese- und Schreibfertigkeiten gemessen. Auch die Adelaide Studie4 verzeichnete nach einem halben Jahr einen unübersehbaren Rückgang der kognitiven Probleme. Nach der Gabe hochdosierter Präparate (250 mg Fischöl pro kg Körpergewicht täglich) konnten bereits nach acht Wochen signifikante Verbesserungen festgestellt werden5. Etliche Studien wie zum Beispiel Oxford-Durham zeigen auch, dass die Fettsäuren die beste Wirkung entfalten, wenn sie in einem Verhältnis von 9 (EPA) : 3 (DHA) : 1 (GLA) vorliegen. EPA übernimmt wichtige Funktionen bei der Nervenreizleitung und der Kommunikation zwischen den Zellen; damit beeinflusst es die Lern- und Konzentrationsfähigkeit.
Wer sich viele Omega-3-Fettsäuren mit der Nahrung zuführt, ist weniger ADHS-gefährdet: Ein Vergleich verschiedener Diäten bestätigt, dass bei einer sogenannten „westlichen“ Ernährung mit vielen Fertiggerichten, Gebratenem und Fast Food das Risiko für ADHS größer ist. Mit einer „gesunden“ Kost mit viel frischem Obst und Gemüse, Vollkorn und Seefisch führt man sich mehr Omega-3-Fettsäuren zu6.
Gute Quellen für Omega-3-Fettsäuren sind alle fetten Kaltwasserseefische wie Lachs, Hering, Makrele usw. Bei hohem Fischkonsum sollte man allerdings die Belastung mit Umweltgiften berücksichtigen, vor allem mit Quecksilber. Lein- und Rapsöl, aber auch andere pflanzliche Fette wie Nachtkerzenöl sind ebenfalls reich an Omega-3-Fettsäuren. Fischöl kann man konzentriert und gereinigt in Kapselform zu sich nehmen.
Neben den Omega-3-Fettsäuren haben auch noch andere Mikronährstoffe positiven Einfluss auf ADHS-Störungen, beispielsweise die Spurenelemente Zink und Kupfer. Es wurde nachgewiesen, dass ADHS-auffällige Kinder im Durchschnitt weniger Zink und Kupfer mit ihrer Nahrung aufnehmen, als ihre Altersgenossen7. Beide Spurenelemente sind essentielle Cofaktoren für die Bildung von Dopamin und Norepinephrin, zwei Neurotransmittern, die eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit ADHS spielen. Zink ist ein Coenzym des Enzyms Delta-6 Desaturase, das für die Bildung langkettiger ungesättigter Fettsäuren benötigt wird, die wiederum am Aufbau der Nervenzellmembranen beteiligt sind. Eine Störung des Neurotransmitterhaushalts gilt allgemein als Grundlage für die Entwicklung von ADHS. Sie führt zu einer verminderten Funktion bestimmter Hirnregionen und beeinflusst die Steuerung und Dämpfung des Reizflusses. Reize können dann nicht mehr richtig verarbeitet werden, was sich zum Beispiel in Hyperaktivität, Aggressivität und Gedächtnisstörungen äußert.
Die erwähnten Studien zeigen, dass der Schlüssel für ADHS in einer gesunden Ernährung liegen könnte, die reich an Mikronährstoffen ist. Damit werden natürlich nicht alle Ursachen dieser Störung abgedeckt. Wenn für die grundlegenden neurologischen Funktionen optimale Bedingungen geschaffen werden, dann sind dies die besten Voraussetzungen dafür, dass sich ADHS nicht entwickeln kann.
Quellen:
1 Williams N M et al.; Rare chromosomal deletions and duplications in attention-deficit hyperactivity disorder: a genome-wide analysis. Lancet, 2010; DOI: 10.1016/S0140-6736(10)61109-9
2 Kim et al.; Phthalates Exposure and Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder in School-Age Children. Biological Psychiatry, 2009; 66 (10): 958 DOI: 10.1016/j.biopsych.2009.07.034
3 Richardson AJ et al.; The Oxford-Durham Study: A Randomized, Controlled Trial of Dietary Supplementation With Fatty Acids in Children With Developmental Coordination Disorder Pediatrics Vol. 115 No. 5 May 1, 2005 pp. 1360-1366, doi: 10.1542/peds.2004-2164
4 Sinn N et al.; Effect of supplementation with polyunsaturated fatty acids and micronutrients on ADHD-related problems with attention and behaviour. Journal of Developmental & Behavioral Pediatrics, 28(2), 2007 pp. 82-91
5 Germano M et al.; Plasma, red blood cells phospholipids and clinical evaluation after long chain omega-3 supplementation in children with attention deficit hyperactivity disorder (ADHD). Nutritional Neuroscience, Vol. 10, February/April 2007, pp. 1-9
6 Amber L et al.; ADHD Is Associated With a ‚Western‘ Dietary Pattern in Adolescents. Journal of Attention Disorders, 2010; DOI: 10.1177/1087054710365990
7 Kiddie J Y et al.; Nutritional Status of Children with Attention Deficit Hyperactivity Disorder: A Pilot Study, International J of Pediatrics, Vol 2010 (2010), Article ID 767318, doi: 10.1155/2010/767318