22:6 für Geist und Nerven
„Fisch ist gesund!“ Diesen Satz haben schon unsere Großeltern gesagt. Mag der eine oder andere widersprochen haben, weil er lieber etwas anderes auf dem Teller hatte, so steht die moderne Wissenschaft einhellig hinter unseren Altvorderen. Sie präzisiert diese Aussage ein wenig, indem insbesondere fettreicher Meeresfisch förderlich für unsere Gesundheit sei, also Hering, Sardinen, Lachs und Makrele und nicht in erster Linie Forelle oder Zander. Der Grund sind sogenannte langkettige Omega-3-Fettsäuren, an denen der Seefisch besonders reich ist. Der braucht diese mehrfach ungesättigten Verbindungen, um seinen Stoffwechsel bei sehr niedrigen Temperaturen aufrecht zu erhalten – quasi als Frostschutz.
Der Mensch löst seine Probleme mit der Kälte auf andere Weise, ist aber ebenfalls vital auf Omega-3-Fettsäuren angewiesen, die er besonders für die Entwicklung und Funktion von Nervensystem und Gehirn benötigt. Hier findet man einen außergewöhnlich hohen Anteil einer Omega-3-Fettsäure, die aus 22 Kohlenstoff-Atomen mit 6 Doppelbindungen aufgebaut ist. Nichts anderes besagt der griechischstämmige Ausdruck „Docosahexaensäure“, kurz und englisch: DHA. Für die interessiert sich die Wissenschaft besonders.
Weniger Frühgeburten, fittere Kinder
Prof. Dr. Berthold Koletzko von der Ludwig-Maximilians-Universität München untersucht den Einfluss langkettiger Omega-3-Fettsäuren, insbesondere der DHA, auf die kindliche Gehirnentwicklung. Das Resümee des Mediziners ist sehr wichtig für jeden, der an Kinder denkt: „Epidemiologische Studien seit den 1980er Jahren zeigen, dass Bevölkerungen mit hohem Verzehr an fettreichen Meeresfischen nicht nur einen höheren Gehalt an Omega-3-Fettsäuren im Blut aufweisen, sondern auch die mittlere Schwangerschaftsdauer etwas länger und die Geburtsgewichte etwas höher sind. Dabei ist die Rate an Frühgeburten deutlich niedriger.“ Solche Beobachtungen machte man
z. B. auf den Färöer-Inseln, und neuere Studien bestätigen: Viel Seefisch und DHA senken die Frühgeburtsrate um rund 30 Prozent ab der 34. Woche und sogar um etwa 60 Prozent bei Risikoschwangerschaften. Entsprechend erniedrigt sind kindliche Erkrankungen und die Sterblichkeit.
Klinische Analysen zeigen, dass die kindliche DHA-Versorgung unmittelbar von der mütterlichen Zufuhr dieser Omega-3-Fettsäure abhängt.
Ab der 2. Schwangerschaftshälfte wird die DHA vor allem in die Membran von Nervenzellen und Photorezeptoren der Retina eingebaut. Das belegt die Bedeutung für die Entwicklung und Funktion des kindlichen Nervensystems und der Augen.
Nach der Niederkunft leiden Mütter mit einem hohen DHA-Gehalt im Blut seltener unter einer geburtsbedingten Depression. Die Wissenschaftler raten der jungen Mutter auch, während der gesamten Stillphase regelmäßig Meeresfisch auf der Speisekarte zu haben. Die DHA in der Muttermilch beeinflusst die Sehschärfe, die Sprachwahrnehmung, die psychomotorische Entwicklung und die Aufmerksamkeit von Baby und Kleinkind. Letztendlich – so die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen – weisen die Kinder eine höhere Intelligenz auf. Der positive Effekt der DHA-reichen Muttermilch sei laut Prof. Koletzko bis zum 8. Lebensjahr erkennbar.
Mehr Aufmerksamkeit
Überhaupt ist eine ausreichende Versorgung mit der Omega-3-Fettsäure nicht nur in der frühen kindlichen Phase wesentlich. Eines der häufigsten Störungsbilder im Kindes- und Jugendalter, das Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS), wird ebenfalls mit der DHA in Verbindung gebracht. Privatdozent Dr. Gunter Eckert an der Goethe-Universität Frankfurt/Main referierte hierzu: „3 bis 10 Prozent der Kinder sind mit einem unterschiedlichen Schweregrad betroffen“, so der Pharmakologe, „typische Symptome sind Unaufmerksamkeit, übersteigerte Impulsivität und motorische Hyperaktivität“. Die Kinder haben krankheitsbedingte Alltagsprobleme, was später zu sozialen Nachteilen und schlechteren beruflichen Chancen führen kann.
Verschiedene Studien zeigen, dass eine zusätzliche DHA-Aufnahme das Krankheitsbild lindern kann. Vermutlich greift die Omega-3-Fettsäure positiv in die Signalübertragung der Gehirnzellen ein, die bei ADHS gestört ist. Dr. Eckert sieht die Chance, die DHA begleitend zur Behandlung einzusetzen. „Allerdings“, so der Wissenschaftler, „sind die Studien hier noch nicht abgeschlossen, es ist noch zu früh für definitive Aussagen.“ Gleichwohl glaubt er, dass die DHA bei zahlreichen neuropsychiatrischen Erkrankungen eine Rolle spiele.
Für ein junges Gehirn
Auch im Alter hilft Meeresfisch, konkret beim Erhalt und Schutz der Leistungsfähigkeit des Gehirns. Mit Hochdruck arbeitet die Forschung daran, Mittel und Methoden zu finden, der Alzheimer-Erkrankung vorzubeugen. Dabei hat man die Omega-3-Fettsäuren, insbesondere die DHA, im Visier. Bei dieser Erkrankung, von der durch die demographische Bevölkerungsentwicklung immer mehr Senioren betroffen sind, verliert das Gehirn nach und nach an Zellmasse. Die Folge ist eine fortschreitende Demenz. Der Grund liegt im zunehmenden Abbau der Synapsen, den Kontaktstellen der Nervenzellen. In den betroffenen Regionen werden zudem Proteinbruchstücke abgelagert. Man weiß heute, dass die DHA die Bildung dieser Fragmente verringert und dass es Alzheimer-Patienten an der DHA im Gehirn mangelt.
Prof. Dr. Tobias Hartmann von der Universität des Saarlandes ist als Demenz-Experte davon überzeugt, dass die DHA dem alterndem Hirn helfen kann und sogar der Alzheimer-Erkrankung vorbeugen und den Verlauf verlangsamen könnte. „Dabei müsste man allerdings idealerweise 30 bis 40 Jahre vorher anfangen, denn die Schädigung beginnt sehr früh, ohne dass sie bemerkt wird.“ Prinzipiell, so der Biologe, sei das Gehirn eines 70-Jährigen genauso leistungsfähig wie das eines jungen Menschen. Allerdings müsse man das Gehirn gesund halten, dabei könnte die Omega-3-Fettsäure helfen. Prof. Hartmann: „Wir werden immer älter, also haben wir einen erhöhten Bedarf an einem Schutz der Nervenzellen!“
Wenn der Fisch knapp wird
Ob Fötus, Baby, Schulkind, Erwachsener: An Omega-3-Fettsäuren, speziell der DHA, darf es für die optimale Entwicklung von Gehirn und Nervensystem nicht mangeln. Der Mensch ist nur zu wenigen Prozent in der Lage, diese langkettige, ungesättigte Fettsäure selbst aus kürzeren Molekülen über seinen Stoffwechsel herzustellen. Es scheint, als würde ein Großteil der Bevölkerung davon profitieren, die DHA-Zufuhr zu erhöhen. Laut Prof. Hartmann enthält die moderne Kost immer weniger langkettige, ungesättigte Omega-3-Fettsäuren. Die Europäische Kommission und verschiedene Fachgesellschaften empfehlen Schwangeren und stillenden Frauen eine tägliche Aufnahme von mindestens 200 Milligramm der DHA. Das entspricht etwa zwei wöchentlichen Mahlzeiten an fettem Meeresfisch. Von diesem Speiseplan ist nicht jeder begeistert. In Fachkreisen ist eine zusätzliche Einnahme der DHA in Kapselform eine unumstrittene Alternative und für viele der wohl einzig praktikable Weg, zumal es kaum Probleme mit der Verträglichkeit gibt.
Quellen:
1) Sabatier M et al.; Meal effect on magnesium bioavailability from mineral water in healthy women, American Journal of Clinical Nutrition, Vol. 75, No. 1, 65-71, January 2002
2) Golf S; Magnesium – Bioverfügbarkeit von organischen und anorganischen Verbindungen; Pharmazeutische Zeitung 7/2009, 40-42