Wenn die Abwehr zum Angriff übergeht
Entzündungen sind eigentlich eine gesunde Reaktion des Körpers. Ohne sie würden wir nicht lange leben. Denn mit ihnen schützt sich der Organismus vor Mikroorganismen, Viren und anderen schädlichen Eindringlingen – und wie der Name „Entzündung“ schon vermuten lässt, geht es während der Abwehrschlacht heiß her. In der immunologischen Rüstkammer sind besonders freie Sauerstoffradikale (oder wissenschaftlich korrekter „reaktive Sauerstoff-Spezies“, ROS) eine der universellen Waffen gegen mikrobielle Bollwerke. Sie werden von bestimmten Abwehrzellen gebildet, sind energiegeladen und sehr effizient in der Bekämpfung der ungebetenen Eindringlinge.
Gegen die eigenen Reihen
Aber nur solange die Immunantwort tatsächlich gegen Erreger gerichtet ist und nicht überschießt. „Normalerweise sind Entzündungsreaktionen selbstlimitierend und führen zu keiner gravierenden Schädigung des Organismus, da der Körper über hemmende Mechanismen verfügt, die in Gang gesetzt werden“, erklärt Prof. Dr. med. Brigitte M. Winklhofer-Roob von der Karl-Franzens-Universität Graz*. Doch leider gibt es häufige Ausnahmen. Das sind die so genannten Autoimmunerkrankungen, bei denen die Abwehr aus noch unerfindlichen Gründen plötzlich gegen körpereigenes Gewebe vorgeht – und es sind Entzündungen, bei denen ein laufend wiederkehrender Stimulus das Immunsystem nicht mehr zur Ruhe kommen lässt. Zu Autoimmunerkrankungen gehört die sehr unübersichtliche Zahl verschiedener rheumatischer Erkrankungen, aber auch Multiple Sklerose (Nervenzellhüllen), Morbus Crohn (Dick- und Dünndarm) und Hashimoto-Thyreoiditis (Schilddrüse). Zu den chronifizierten und auf Dauer ebenfalls massiv gewebeschädigenden Entzündungen zählen beispielsweise Parodontitis, Atherosklerose und Asthma bronchiale.
Allen gemeinsam ist, dass bei der oft jahrelangen Abwehrschlacht des Organismus verstärkt die aggressiven freien Radikale freigesetzt werden. Das hat gravierende Folgen. Die Sauerstoffradikale sind durch ihre Reaktivität nicht nur unmittelbar schädlich, indem sie „brandgefährlich“ mit den Zellstrukturen umgehen, sie starten noch einen zweiten destruktiven Prozess. Prof. Dr. Olaf Adam von der Ludwig-Maximilians-Universität München*: „Bei bestimmten entzündlichen Erkrankungen werden in großen Mengen Sauerstoffradikale gebildet, die das gesunde Gewebe angreifen und schädigen können. Die Sauerstoffradikale wiederum verstärken die Entzündungsreaktionen, wobei noch mehr Radikale freigesetzt werden.“ Der Schlüssel hierzu ist die membrangebundene Arachidonsäure in den Immunzellen. Diese wird – wenn nur genügend freie Radikale die richtigen Enzyme aktivieren – zu Entzündungsbotenstoffen wie Prostaglandinen und Leukotrienen umgewandelt. Die Botenstoffe aktivieren weitere Immunzellen, so dass die Entzündung weiter angeheizt wird. „Das führt wiederum zur vermehrten Freisetzung von reaktiven Sauerstoffverbindungen“, so Prof. Winklhofer-Roob. „Es kommt ein Teufelskreis in Gang, der sich häufig auch in Form einer chronischen subklinischen Entzündung manifestiert.“
Hilfe durch Antioxidantien
Antioxidantien können den Teufelskreislauf durchbrechen, indem sie die freien Radikale abfangen. Dadurch kann die überschießende Immunantwort gedämpft und damit der Entzündungsverlauf positiv beeinflusst werden. Normalerweise verfügt der Körper über ein gut austariertes System wirksamer Abwehr- und Reparaturmechanismen. An ihnen sind Enzyme wie die Superoxiddismutase und die Glutathionperoxidase (mit Selen als zentralem Bestandteil) genauso beteiligt wie die Vitamine A, C und E, Flavonoide, Polyphenole und das Coenzym Q10. Eine besondere Bedeutung kommt dem fettlöslichen Vitamin E zu. Da es membrangebunden ist und sich somit in unmittelbarer Nähe zur Arachidonsäure befindet, kann es diese besonders gut schützen.
Weniger Medikamente
Der positive Einfluss von Antioxidantien auf Entzündungen wird von einer Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten bestätigt. Prof. Adam betont: „Epidemiologische Untersuchungen haben ergeben, dass Patienten, die an Entzündungserkrankungen leiden, häufig einen schlechten Antioxidantien-Status aufweisen. Umgekehrt zeigen klinische Studien, dass Patienten mit einer optimalen Versorgung an Antioxidantien Vorteile haben.“ Arbeiten, bei denen die Ergebnisse verschiedener Einzelstudien zusammengefasst und statistisch bewertet werden, seien eher kritisch zu betrachten. „Derartige Metaanalysen“, so der Münchner Forscher, „sind in ihrer Aussagekraft oftmals sehr limitiert.“
Sehr gute Erfahrungen hat man zudem in der Praxis gewonnen. Dr. Dr. Erwin Häringer ist Arzt für Allgemeinmedizin in München, und er empfiehlt die Einnahme von bestimmten Antioxidantien wie hoch dosiertem Vitamin E bei Patienten mit chronischen Entzündungserkrankungen. „Wir können dadurch sehr oft die herkömmliche, medikamentöse Therapie zurückfahren und beispielsweise die Einnahme von Schmerzmitteln deutlich reduzieren*.“ Offensichtlich unterstützen sich dabei unterschiedliche Antioxidantien wie Vitamin E und Selen in ihrer protektiven Funktion und ergänzen die entzündungshemmende Wirkung von Omega-3-Fettsäuren. Sie können, laut Prof. Adam, additiv wirken. Seine Dosierungsempfehlung ist situationsabhängig, er rät zu höherer Dosis, wenn es um Krankheitsminimierung oder um die Reduktion von Risikofaktoren geht, und zu niedriger, wenn der Ausgleich von Ernährungsmängeln im Vordergrund steht.
Der Körper braucht Antioxidantien, um den oxidativen Stress erfolgreich zu managen, oftmals überschreitet dabei der Bedarf die Aufnahme über die Ernährung. Und da scheint das Angebot nicht immer das allerbeste zu sein. Dr. Häringer weist darauf hin: „Unsere moderne Ernährung stellt dem Körper häufig nur noch unzureichend Radikalfänger zur Verfügung. Dadurch können die körpereigenen Systeme, die den oxidativen Stress ausbalancieren sollen, chronisch überfordert sein.“ Davon seien, nach Meinung des Münchner Mediziners, besonders jüngere und ältere Patienten betroffen, deren Ernährung mit deutlichen Mängeln an essentiellen Nahrungsbestandteilen behaftet sei. Und Prof. Adam ergänzt: „Aufgabe in der Zukunft ist es, für Patienten mit einem erhöhten Verbrauch an Antioxidantien die für sie zutreffende Kombination herauszufinden, um die Ernährung sinnvoll zu ergänzen und einen Vorteil für Betroffene mit entzündlichen, allergischen oder degenerativen Krankheiten zu erwirken.“
* anlässlich eines Expertengesprächs in Pullach im August 2009