Ein Albtraum für die Eltern: Jedes Jahr kommen in Deutschland bis zu sieben Prozent der Neugeborenen mit schwerwiegenden Fehlbildungen auf die Welt1. Der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge sind diese in den Industrieländern die Hauptursache für Säuglingssterblichkeit2. Nicht alle Missbildungen sind dabei erblich bedingt, ein großer Teil davon geht vielmehr auf einen Mangel an Vitalstoffen zurück. Eine entscheidende Rolle spielen B-Vitamine, allen voran Folsäure: Um eine optimale Entwicklung des ungeborenen Kindes zu gewährleisten und Fehlbildungen zu vermeiden, empfehlen die meisten Wissenschaftler deshalb werdenden Müttern nicht nur eine entsprechende Ernährung, sondern sogar schon vor Beginn der Schwangerschaft zusätzliche Folsäure-Gaben deutlich über dem Tagesbedarf der Durchschnittsbevölkerung.
Schon lange ist bekannt, dass Folsäuremangel vor allem in der frühen Schwangerschaft die Ausbildung des Neuralrohrs beim Embryo behindern kann. Daraus kann eine Reihe schwerwiegender Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen resultieren, wie zum Beispiel spina bifida (offener Rücken), Kiefer-, Lippen- und Gaumenspalten, aber auch Herzfehler und Fehlbildungen der Extremitäten und der Harnwege. In Deutschland kommen nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung jährlich etwa 800 Kinder mit einem Neuralrohrdefekt zur Welt3. Manche Schäden kann man zwar mittlerweile nachträglich operativ korrigieren, meistens müssen aber die Betroffenen ihr Leben lang mit ihrem Handicap leben.
Höhere Folsäuregaben schon vor einer Schwangerschaft Neuralrohrdefekte treten als Folge einer Entwicklungsstörung in den ersten Schwangerschaftswochen auf. Etwa zwischen dem 21. und dem 28. Tag der Embryonalentwicklung bildet sich das Neuralrohr aus. In dieser frühen Phase wissen viele Frauen noch gar nicht, dass sie schwanger sind. Während dieser Zeit, aber auch ganz allgemein während Wachstum und Entwicklung, ist der Bedarf an Folsäure, Vitamin B6 und B12 besonders hoch, denn Folsäure spielt eine wichtige Rolle bei der Zellteilung. Wissenschaftler gehen davon aus, dass mehr als die Hälfte – bis zu 70 Prozent – aller Neuralrohrdefekte auf einem Mangel an diesem Vitalstoff beruhen4. Deshalb raten viele Mediziner, Frauen mit Kinderwunsch und Frauen, die eine Schwangerschaft nicht bewußt ausschließen, zusätzlich Folsäure zu verabreichen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung DGE empfiehlt Schwangeren und stillenden Müttern täglich 600 Mikrogramm Folat mit der Nahrung und zusätzlich vor Beginn sowie während des ersten Drittels der Schwangerschaft 400 Mikrogramm mit Nahrungsergänzungsmitteln zu sich zu nehmen. In Familien, in denen Neuralrohrdefekte häufiger vorkommen, sollten vorsorglich noch höhere Folsäuregaben verabreicht werden, vor allem dann, wenn schon in einer vorausgegangenen Schwangerschaft ein solcher Defekt aufgetreten ist. Ansonsten empfiehlt die DGE für die Normalbevölkerung (Jugendliche und Erwachsene) 400 Mikrogramm täglich. Diesen Wert erreichen in Deutschland nur 10 bis 20 Prozent der Menschen5. In Ländern wie Kanada, den USA und Chile, in denen die Anreicherung von Getreideprodukten mit Folsäure gesetzlich vorgeschrieben ist, gingen Neuralrohrdefekte bereits um bis zu 55 Prozent zurück6.
Natürlich kommt Folsäure immer als Folat gebunden vor. Gute Folatlieferanten sind vor allem Leber, bestimmte Gemüsearten wie Brokkoli, Spinat und Tomaten, sowie Vollkorngetreide, Eigelb, Milch, Orangen und Weintrauben. Folatverbindungen sind ausgesprochen hitze-, licht- und sauerstoffempfindlich, sie werden durch Kochen und Lagern zerstört. Durch Alkoholkonsum, Rauchen, einseitige Ernährung sowie bei der Einnahme bestimmter Medikamente erhöht sich der Bedarf an diesem B-Vitamin. Synthetische Folsäure wird auch einigen Nahrungsmitteln, wie z.B. Müsli, zugesetzt.
Um eine ausreichende Versorgung mit Folsäure sicher zu stellen, können Nahrungsergänzungsmittel, die für Schwangere mindestens 400 μg und für die Normalbevöklerung mindestens 200μg Folsäure enthalten sollten, die tägliche Ernährung sinnvoll ergänzen.
Quellen:
1) Arzneimittelwirkungen in der Schwangerschaft: Suche nach den Ursachen kindlicher Fehlbildungen, Dtsch Arztebl 1996; 93(14): A- 880 / B-732 / C-685
2) WHO Faktenblatt EURO/05/03
3) Folsäurestatus in Europa und Möglichkeiten der Intervention, BfR 18.1.2007
4) Fehlbildungen bei Neugeborenen Congenital Malformations, Dtsch Arztebl 2006; 103(38): A-2464 / B-2136 / C-2060
5) Folsäureversorgung in Deutschland ist unzureichend, BfR 27.9.2005
6) Strategien zur Verbesserung der Folatversorgung in Deutschland – Nutzen und Risiken, Positionspapier der DGE, Oktober 2006